Dienstag, 25. Mai 2010

Linke in NRW - wer spielt mit den Schmuddelkindern?

Das Spiel mit Worten ist ein interessantes, deshalb möchte auch der hiesige Autor sich zu den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen Linken, SPD und Grünen äußern. Bemerkenswert: Rüdiger Sagel, Mitglied des Landtages für die LINKE, bezeichnete die Sondierungsgespräche als eines seiner skurrilsten Erlebnisse in seiner über 30-jährigen und wenig langweiligen politischen Laufbahn.
Aus Sagels Sicht stand bereits vor Beginn der Sondierungsgespräche deren Scheitern längst fest auf der Agenda von SPD und Grünen. Die stattgefundenen Gespräche stellten lediglich 'die Pflicht' zur vorherigen Kür dar, damit die beiden Parteien den Befürwortern von rot-rot-grün in den eigenen Reihen den scheinbar guten Willen präsentieren können.

Grundsätzlich wäre festzustellen: Für die LINKE in NRW war es keine Selbstverständlichkeit sich mit SPD und Grünen an einen Tisch zusetzen. Dies umso mehr, als bereits im Wahlkampf immer wieder mit vorurteilsbeladenen Behauptungen polemisiert wurde. Trotzdem waren die viel gescholtenen Schmuddelkinder der NRW-Linken dazu einstimmig bereit, weil man ernsthaft bessere Lebensbedingungen für die Menschen in NRW schaffen will. Diese ideologische und ehrliche Blauäugigkeit ist tatsächlich das Einzige, was man der linken Fraktion in NRW vorwerfen kann - den naiven Glauben daran, Politik und Ehrlichkeit seien vereinbar. Für SPD und Grüne gilt dies nicht. Nach der Schilderung Sagels gestaltete sich das Sondierungsgespräch in drei Kernthemen, die nur wenig mit der eigentlichen Frage, Politik in NRW zu gestalten, zu tun hatten.

1.Wie steht die LINKE zur DDR?
2.2. Wie steht die Linke zur Verfassung?
3.3. Kann die Linke ihre sozialpolitischen Grundsätze ebensoweit nach rechts biegen wie SPD und Grüne?

Knackpunkt DDR

SPD und Grüne begründen das Scheitern der Sondierungsgespräche mit der mangelhaften Distanzierung der Linken zur ehemaligen DDR. Dabei wird deutlich, dass SPD und Grüne kritiklos und intelligenzfrei die dümmliche Polemik der Medien übernehmen. Die Kritik hängt sich an zwei markanten Punkten auf, der Frage: War die DDR ein Unrechtsstaat? sowie der Frage: War der Sozialismus in der DDR ein legitimer Versuch eines neuen Gesellschaftsmodells?

Beteiligte der Sondierungsgespräche attestieren SPD und Grünen bezüglich dieser Fragen erschreckende Kurzsicht und schlechte historische Kenntnisse, nicht zuletzt auch der eigenen Parteigeschichte. Während die SPD die eigene Historie weitgehend gelöscht zu haben scheint, beeindruckte besonders der, teilweise gockelhaft anmutende, Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Die Grünen) mit seiner Art von geschichtlichem Verständnis, der Leugnung und Umkehr ehemals grüner Identitäten, sowie dem Vergessen der Entstehungsgeschichte der Grünen.

Man könnte aber auch Mutwilligkeit zur Bösartigkeit vermuten, will man den rot-grünen InquisitorInnen nicht Dummheit unterstellen. Bereits von Anfang an konnte und wollte man auf rot-grüner Seite nicht akzeptieren, dass wir hier in NRW sitzen, und das sich kein Mitlied der linken Fraktion an der über 20 Jahre zurückliegenden Vergangenheit der DDR schuldig gemacht hat.
Nichtsdestotrotz war man in der linken Fraktion bereit, Erklärungen wie: "Die DDR war kein demokratischer Rechtsstaat“ und „Die DDR war eine Diktatur" zu unterschreiben. Das reichte nicht aus. Dass es auch im Westen und insbesondere aktuell immer mehr Demokratie Probleme gibt, wurde sofort negativ als "Gleichsetzung" gewertet. Wie im Übrigen auch alles andere kritische, als "Gleichsetzung" gewertet wurde, was hier bei uns passiert.

„Gleichsetzung“ und „Unrechtsstaat“ - ein Vabanquespiel-Spiel mit Begrifflichkeiten

Das SPD und Grüne sich mit der Wahl des eigenen Vokabulars rhetorisch auf einem schmalen Grad bewegen, scheint niemandem, insbesondere Volker Beck, nicht bewusst zu sein. Der direkte Vergleich zwischen der Diktatur der DDR und der durch Wirtschaft und Finanzmarkt kontrollierten Bundesrepublik drängt sich geradezu auf.

Krieg, Überwachung, Entdemokratisierung, die Unterwanderung der großen Parteien durch Interessenverbände aus Wirtschaft und Finanzen und immer weitere Privatisierung drängen den Staat in seinen hoheitlichen Aufgaben immer weiter aus seiner Verantwortung, aus seinen Handlungsmöglichkeiten und seiner Autorität. Eine Umsetzung des politischen Willens des Volkes ist schon heute nahezu unmöglich, weil Verwaltung und Obhutspflicht dem Diktat der Märkte unterworfen werden und nicht mehr dem Willen des Volkes. Demokratie funktioniert anders.

Die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, ist nicht nur faktisch falsch, sondern noch gefährlicher, als der Vergleich zwischen den Systemen. De facto ist die Definition des Unrechtsstaates klar auf das Deutschland zwischen 1933 und 1945 - das Dritte Reich - beschränkt. Millionen Menschen wurden unter der NSDAP aufgrund ihrer Abstammung, ihrer Nationalität, ihres Glaubens, ihrer Sexualität oder einer Behinderung systematisch ausgegrenzt, gequält und letztlich auf unbeschreiblich grausame Weise in Gaskammern und von den Todeskommandos SS und SA ermordet.

Andere fielen dem Krieg zum Opfer. Millionen Menschen wurden unter der NSDAP systematisch gedemütigt, gequält und letztlich auf unbeschreiblich grausame Weise in Gaskammern und von den Todeskommandos SS und SA ermordet.

Millionen unschuldiger Menschen anderer Völker kamen in einem sinnlosen Krieg um neuen Lebensraum für eine neue Herrenrasse um, wurden entwurzelt, ermordet, vertrieben. Das Dritte Reich hinterließ ein globales Trauma, dass sich bis in alle Zeiten wie ein eiterndes Mal im Bewusstsein der gesamten Menschheit eingebrannt hat. Viele Nazitäter genossen, in den neuen Volksparteien untergekommen, in den Jahren nach dem Krieg als 'lupenreine Demokraten' wieder großes Ansehen. Zur Sprache kamen deren Untaten nicht mehr. Und nun versuchen SPD und Grüne, ganz im Sinne von neoliberaler und konservativer Kampfpolemik, die DDR mit diesem Horror gleichzusetzen? Das ist ekelhaft und unerträglich - ich schäme mich für solche PolitikerInnen.

Man muss mit der DDR kritisch umgehen, aber man kann sie nicht auf den Kampfbegriff „ Unrechtsstaat“ reduzieren. Sozialismus und Kommunismus wurden im Zuge des Kalten Krieges systematisch zum Schreckgespenst, zur größten Bedrohung der freien Welt, hochstilisiert. Daran will man narürlich festhalten. Heute übernimmt diese Aufgabe der Terrorismus. „Der Umgang mit der DDR-Geschichte leidet daran, dass sie in den 90er-Jahren politisch und medial vermarktet worden ist als eine Skandalgeschichte von Feigheit und Verrat. Die Stasi war das Faszinosum. Das ist verständlich, aber darin geht die DDR-Geschichte nicht auf. Das Urteil über die DDR ist eindeutig: Sie war kein Rechtsstaat. Sie war eine Diktatur. Sie war ein System der Misswirtschaft, das deshalb am Schluss auch in sich zusammengebrochen ist. Das System ist gescheitert, aber die Menschen sind nicht gescheitert. Jeder Versuch, genauer und differenzierter über die Geschichte der DDR zu urteilen, endet aber gegenwärtig mit einem Bannfluch gegen diejenigen, die das tun.“ (Wolfgang Thierse, ehem. Bundestagspräsident in welt.de, 09.04.09)

Als Fazit bleibt festzuhalten: Der Versuch, einen sozialistischen Staat zu gründen, ist und bleibt in jedem Fall legitim, denn es handelt sich dabei um einen Versuch, eine bessere Gesellschaft zu gründen. Der feste Wille zu einer besseren Gesellschaft kann kein Verbrechen sein, außer man betrachtet den Kapitalismus als einzige legitime Gesellschaftsform (was wiederum Unrecht wäre).
Dieser Versuch scheiterte in einer undemokratischen Parteiendiktatur, die mit dem linken Verständnis von Sozialismus nichts gemeinsam hat. Zahlreiche führende Köpfe der damaligen DDR haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, Tausende Unschuldige diffamiert, tyrannisiert und eingesperrt. Die Arbeitsgemeinschaft 13. August, Betreiberin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, 2009 schätzt die Zahl der Mauertoten auf 245 Opfer und 38 natürliche Sterbefällen. Dieses begangene Unrecht mit dem Dritten Reich zu vergleichen, ist skandalös und zeigt, wie weit selbst bei SPD und Grünen die Relativierung der Vergangenheit des Dritten Reiches vorgedrungen zu sein scheint.

In dem wirren Gespräch versuchte vor allem Katharina Schwabedissen mit beeindruckender Geduld immer wieder deutlich zu machen, dass die Linke mit der DDR, und ihrer damaligen Politik, nichts aber auch gar nichts zu tun habe, und das die DDR genau das "Gegenteil" von dem war, was die Linke politisch wolle. Immer wieder wurden, insbesondere von Grünen wie Volker Beck, der in dem "Verfahren" eine teilweise dominierende Rolle bei dem Gespräch hatte, angebliche Missverständnisse und vermeintliche Unklarheiten konstruiert.

Haltung zum Verfassungsschutz

Nach mehr als zwei Stunden kam dann das Thema Verfassungsschutz in einer weiteren Grundsatzdebatte an die Reihe. Nachdem die Linke erklärte, den Verfassungsschutz in NRW nicht sofort abschaffen zu wollen, dass dies aber mit SPD und Grünen wohl nicht in dieser Legislaturperiode machbar sei, wurden auch da Probleme inszeniert. Ob man bereit sei, im Landeshaushalt eine Grundausstattung für den Verfassungsschutz zu finanzieren ? Die Linke bejahte das, wollte aber trotzdem eine stärkere demokratische Kontrolle gewährleisten. Außerdem will sich die Linke mit dem Personalumfang beschäftigen und feststellen, was z.B. V-Leute „so machen“. Dies wurde dann sogleich als Kritik an SPD und Grünen und ihrer bisherigen Arbeit hoch stilisiert. Zudem wurde eine Beschäftigung mit der Personalfrage als "Abschaffung auf kaltem Wege" unterstellt.


Realitätscheck und Tauglichkeitsprüfung

Nachdem man sich schon fragte, wann es denn in dem, bis dahin mehrere Stunden dauernden Gespräch um politische Inhalte geht, hob man sich das beste bis zum Schluss auf. Hannelore Kraft eröffnete den Showdown mit den Worten: „Jetzt ist die Wahl vorbei. Jetzt werden die Wahlprogramme einem Realitätscheck unterzogen." Faktisch bedeutet das, SPD und Grüne wollten ausloten, wie weit die Linke ihre sozialpolitischen Grundsätze nach rechts biegen kann um vom eigenen Wahlprogramm zugunsten von Pöstchen unter der Gnade von SPD und Grünen zu partizipieren. Kraft zeigte zumindest, dass das Programm der SPD nicht das Papier wert ist, auf dem es geschrieben steht. Schönes Gefühl für die WählerInnen.

Dazu Rüdiger Sagel: „Unseren Ausführungen, dass wir Initiativen zur Verbesserung der Einnahmesituation, vor allem im Bundesrat, starten müssten, und die wenigen vorhandenen Möglichkeiten im Landeshaushalt NRW nutzen müssen, wurde nicht widersprochen. Wie auch insgesamt eigentlich keinem, der von uns gemachten Statements zur Lage und weiterem Vorgehen, wie Kassensturz, auf absehbare Zeit investive schuldenorientierte Anreizpolitik, etc. Das heißt bei der konkreten Politik in NRW gab es zunächst mal keine grundsätzliche Differenz.“

Beide Parteien, SPD und Grüne, kamen allerdings auf Nachfrage Sagels ins Schleudern, als der zur Disposition gestellte Abbau von 8700 Stellen des öffentlichen Dienstes ansprach. Angesprochen auf die 200 000 Arbeitsplätze, die sie schaffen wollen, kamen auch die Grünen ins Schlingern. Anreizfinanzierungen zur Schaffung dieser Stellen wolle man geben, aber natürlich keine öffentlichen Stellen einrichten. Auch da darf man gespannt sein. Scheinbar ist schon jetzt die Zeit ist gekommen, wo aus den Luftnummern und Wahlkampfblasen die Luft raus gelassen wird.

Eine fast schon amüsante Anekdote ereignete sich noch, als es um die Standhaftigkeit einer möglichen Koalition ging und dem Verhalten der Abgeordneten zu Beschlüssen. Nachdem die LINKE deutlich gemacht hatte, dass wir Entscheidungen im Dialog und im demokratischen Konsens zwischen Basis, Partei und Fraktion treffen und dazu stehen würden, wobei natürlich auch ein Protest nicht gänzlich auszuschließen sei, stellten wir diese Frag an die SPD. Frau Kraft antwortete, dass sie ihre 19 neuen Abgeordneten nicht alle kennen würde, und was sie mittragen würden.

Woraufhin ihr die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD Carina Gödecke ins Wort fiel und ihr sagte, dass es 30 neue Abgeordnete seien, was bei Kraft zu offensichtlicher Verwirrung führte.

Die Erwähnung, dass die Grünen das sogenannte Spiel über Bande mit Fraktion und außerparlamentarischem Protest in der Vergangenheit in einer Koalition mit der SPD immer wieder gespielt haben, führte zu Lachern - bei der SPD. Zum Ende dieser Posse trat Hannelore Kraft mit fertiger, d.h. offensichtlich vorher vorbereiteter und ausgedruckter Erklärung in der Hand vor die Presse. Zeitgleich zu ihrem gemeinsamen Auftritt mit Sylvia Löhrmann vor den Kameras lief bereits im Hotelfernseher, live bei NTV im Laufband, dass die SPD nach Scheitern der Verhandlung, die CDU eingeladen habe...

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